Das vorerst letzte Interview im Sommer(forum) 2020 nimmt nochmals Bezug auf jenes mit Martin Kirchner, wo er „die Organisation Kirche als Ganzes“ wahrnimmt wie einen „Dinosaurier, extrem schwerfällig, da ist ganz viel >Command und Control>“, die den Status quo erhalten will, was aber der Gesellschaft keinen großen Dienst erweist.
Die Perspektive, wie nun selbst eine so „überstrukturierte Riesenorganisation“ sich verändert, was ihren Kern ausmacht und mit wie wenig Struktur auszukommen wäre, um diesen Kern wieder freizulegen um der Gesellschaft dienlich zu sein, zeigt Christian Hennecke, Autor vieler Bücher (beginnend mit „Kirche, die über den Jordan geht“, über „Kirche steht Kopf“ und zuletzt „Lust auf morgen! Christsein und Kirche in die Zukunft denken“) in diesem Interview aus seiner fundiert kritischen Innensicht als Leiter einer Hauptabteilung einer deutschen Diözese und zugleich Motor in der ökumenischen Bewegung auf.
„Genau die Dinge, für die Kirche eigentlich steht“ erzeugen (positive) „Resonanz“ bei vielen Menschen außerhalb der Kirche: „Authentizität des Glaubens und des Lebens von Personen … an der Seite der Armen, oder im Kontext von >Laudato sii< Sorge für die ganze Schöpfung, das ist zutiefst unsere Berufung“ (ab Min. 5:00).
Aber wieviel Struktur braucht man dazu, um das mit den Menschen von heute zu leben? Wieviel Halt braucht es, damit Leben wachsen kann? – „Ziemlich wenig„, meint Christian Hennecke, „die Strukturmonster sind nur da, wo so viel Geld ist – Österreich, Deutschland, Schweiz„. (ab Min. 20:00)
„Wir sind eigentlich Meister darin anarchisch zu handeln inmitten der Regeln. Kirche ist eben nicht – so erfahr ich’s überhaupt nicht, echt nicht – eine total hierarchisch durchstrukturierte Organisation, … starr regelbasiert … Wir sind aber schon ein stark sklerotisiertes System. … Aber wenn sich Gesellschaft so ändert, wie sie sich im Augenblick ändert, ist die Form nicht mehr passend.“ (ab Min. 6:10)
„Ich bin mir nicht sicher, ob wir die ganzen Konsequenzen dessen, was Corona bewirkt, schon wahrgenommen haben … wir haben ja noch ein Jahr Corona … Ich würde mir wünschen, dass wir die Zeit dafür nutzen, wirklich ernsthaft zu fragen, was da wirklich passiert ist.“ (ab 11:30)
„Was ist denn am Kontrollverlust so schlimm? … Das hat ja vielmehr mit Zutrauen zu tun, was der Geist Gottes im Menschen bewirkt. Und das hab ich reichlich erlebt. … Manche, die gar nichts machen, sondern warten; und andere, die sich total engagiert haben und tolle Wege gefunden haben …“ (ab 12:20)
„Der Reflex: wir wollen’s doch irgendwie wieder zurück, war sehr stark. Ist nicht verwunderlich, … das ist gesellschaftlich ja auch so. … aber dann zu schauen, Moment mal, was ist denn da wirklich passiert … ist das nicht DIE Gelegenheit …“ (ab Min. 16:20)
„Auf das Mündig-werden der Christen gesetzt – ehrlich gesagt: das haben wir hier nie wirklich gemacht, … das war nice to have … das wurde als spirituell nicht notwendig … erachtet“ (ab 20:40)
„Leute wissen instinktiv, … ob es ihnen was bringt oder nicht, … ob sie genährt werden oder nicht … Struktur dient der Orientierung, nicht der Fesselung und Kontrolle“ (22:20)
„Leitungsversagen in der Kirche – auch in Gruppen: da wo niemand weiß, wohin er gehen soll, verläuft sich das Ganze … Leitung heißt aber nicht, ich weiß und du weißt nicht.“ (23:25)
Klotz am Bein: „Klerikalismus: Wir haben da eine Geschichte … – Wie kann das sein, dass Leute so kalt machtpolitisch drauf sind, und was hat das mit dem Evangelium zu tun? Das ist schon erschreckend!“ (27:00)
„Weiß ich wozu ich diesen (Leitungs-)Dienst tue? Um dem Empowerment Raum zu geben“ (32:00)
Leitungsteams (vgl. Lobinger, Zulehner): „Ich bin echt ein Fan davon. … Kein Priester hat an sich Macht über Gläubige.“ (34:10)
„Nüchtern gesehen ist für viele … Veränderung so leicht gar nicht möglich. … Da müssen wir genau hingucken: Was geht und was nicht? … Alte Gefüge wirken viel unbewusster als jede … Erkenntnis.“ (ab 49:30)
„Ich würde nicht mehr gegen verschlossene Türen kämpfen. Ich würde zulassen, dass es verschiedene Prozesse gibt: Prozesse des Sterbens und Prozesse des Werdens. Ich würde die unterstützen, die Unterstützung brauchen, um der werdenden Zukunft den Weg zu bereiten. Genauso würde ich aber auch die begleiten, die sich total schwer tun mit Veränderung, aber nicht in dem Sinn, dass sie sich verändern müssen. Das wäre realistisch.“ (ab 53:40)